Eberhard Arnold

Vortrag: Römer 8,12-17

[Arnold, Eberhard and Emmy papers – Df.]

EA 18/16

Römer 8,12-17

Vortrag von Dr. Eberhard Arnold

5. Dez. 1918

Unser Reich ist verschuldet. Man hat 2OO Millionen* Mark zusammen gerechnet, die von dem Staat während des Weltkrieges in irgend einer Form zusammengebracht worden sind. In feindlichen Ländern spricht man davon, daß uns 15O Millionen* als Kriegsbuße auferlegt werden soll. Wenn wir demgegenüber unser Volksvermögen zu übersehen suchen, so ergibt sich, daß in sämtlichen Kapitalien und Gütern das Vermögen auf 35O Millionen* geschätzt worden ist. Es beträgt genau dieselbe Summe, die der Staat jetzt verschuldet sein soll. Das bedeutet, wenn wir unseren sämtlichen Besitz zusammenlegen würden und ihn aufgeben würden, dann würden wir die Schulden bezahlen können, die auf unserem Volke lasten. Aus diesen Summen begreifen wir wohl, warum so viele sich vor dem Staatsbankrott fürchten. Wenn wir Schuldner sind nach dem Fleisch, so müssen wir nach dem Fleisch leben. Wir müssen als Volk nach dem Willen des Siegers leben. Wie unser deutsches Volk in eine solche Schuldenlast gekommen ist, wissen wir alle. Wir mußten in eine solche Schuldenlast kommen, weil wir mehr ausgegeben haben, als wir eingenommen haben. Heute suchen Teile deutschen Landes sich von den Schulden frei zu machen. Sie wollen sich von den feindlichen Ländern adoptieren lassen, um keine Schulden zu bezahlen.

Aber nur wo wirkliche Blutsverwandtschaft vorliegt, kann eine Befreiung von der Schuldenlast erwirkt werden. Wenn wir Schuldner dem Fleisch sind, um nach dem Fleisch zu leben, so können wir nur dadurch frei werden, daß wir als Gottes Kinder in ein Reich der vollkommenen Freiheit versetzt werden. Nur wo der Geist Gottes unser Leben bestimmt, gibt es die Freiheit. Gott ist es, der uns von allen Schulden befreit. Er läßt uns seine echten Kinder werden, indem er uns durch seinen Geist und sein Wort das neue Leben gibt, daß wir wiedergeboren werden, daß wir das Leben aus Gott erhalten. Wenn wir echte Kinder Gottes geworden sind, dann sind wir frei von der Schuldenlast, die auf uns ruht, an der wir durch unsere Geburt zu tragen hatten in Zeit und Ewigkeit.

Wir haben wohl alle schon Geschichten gelesen, in denen ein Lebemann, der sein Leben verschüttet hatte, grade im Begriff war sich sein Leben zu nehmen, der plötzlich von einem Vater angenom-

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angenommen wurde, der ihm sein ganzes Vermögen und sein ganzes Leben hingab. Wir waren alle geneigt von dieser Geschichte zu denken, welch' schönes Märchen, wie weit entfernt von der Wirklichkeit! Es gibt eine Wirklichkeit größer und gewaltiger als diese Erzählung, die als ewige Wahrheit hinter dieser Erzählung weit zurückliegt. Es gibt den Vater im Himmel, der uns von aller Unfreiheit unseres Herzens loslösen will, damit wir Menschen des Reichtums Gottes werden.

Wenn wir in dem Lande der Verschuldung leben und wir selbst mitverschuldet sind, so liegt es nahe, daß wir aus dem Lande zu kommen suchen. Ich kenne Menschen, die verschuldet waren, die den Versuch machten, aus dem Lande zu fliehen. Man hielt sie fest. Es wurde ihnen unmöglich gemacht, die Polizei erlaubte es ihnen nicht. Nur wer nicht verschuldet ist, hat völlige Lebensfreiheit.

Wir alle sind den Forderungen des Menschen verschuldet. Paulus spricht zu solchen: "So sind wir denn Schuldner dem Fleisch . . ." Wir sind es nicht mehr. Wir waren es aber alle. Von Natur sind wir es ohne Unterschied. Wir sind alle gewohnt mehr auszugeben als wir einnehmen. Das, was uns fehlt an Kräften und Gütern, an Lebensmöglichkeiten und Lebensfreuden, was wir nicht aus unserem Inneren zu schöpfen vermögen, das suchen wir vom Fleisch her zu beziehen, ohne es je aus eigenen Vermögen ersetzen zu können. Was ist der Trieb sich zu amüsieren anderes, als daß man aus seiner eigenen Erfahrung nicht zu leben vermag. So werden wir mehr und mehr zu Schuldnern. Das Leben, wie es ist, hat seine Forderung zu erheben, die wir kein Leben, kein Leben im Überfluß haben, die wir keine Sonne ausstrahlen lassen, die wir immer nur von den anderen verlangen, daß sie uns amüsieren.

So können wir aus dem Lande unserer Knechtschaft nicht heraus, so werden wir unsere Schulden festhalten. Aber, was man uns gegeben hat, wird man von uns fordern. Wir können nicht heraus, bis der uns frei gemacht, von dem der Herr des Landes nichts zu fordern hat, der von sich sagen konnte: "Er hat nichts an mir. Ich bin ihm nicht verschuldet." Er gab sein Leben zur Loskaufung für Viele. Er will uns alle loskaufen von der Knechtschaft,

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auf daß wir nicht mehr im Fleisch leben und sterben müssen, sondern daß wir in das Reich des Geistes auswandern können, daß wir nicht mehr in der Unfreiheit der Menschen zu leben brauchen.

Wir wissen es alle, daß jedes Unrecht Forderungen in seinem Gefolge hat. Wie bei dem Aufgebot einer geplanten Heirat sich jedes Mädchen melden kann, an dem der Bräutigam sich sittlich verschuldet hat, so melden sich bei uns alle diejenigen, mit denen uns ein Leben der Sünde verbunden hat, und sie lassen uns nicht frei aus dem Lande des Menschen. Denn jeder, der in der Sünde gebunden war, sucht Mitgenossen der Sünde. Es ist als ob einer in einem Spielklub eingetreten ist, und er kann nicht austreten aus diesem Klub, weil ihn seine Schulden nicht loslassen. Es ist wie in einem Sündenhause, dessen unglückliche Einsame bei dem größsten Bemühen nicht in die Freiheit gelangen können, weil die Besitzer dafür sorgen, daß die Unglücklichen niemals frei werden von den Schulden. Nur wenn ein Befreier kommt und alles bezahlen will, ist die Möglichkeit geschaffen, aus dem Kerker des Schmutzes zu entfliehen. Ich las von einem Marineoffizier, der im Hause eines Gutsbesitzers eine Erzieherin kennen und schätzen lernte. Er lud eine schwere Schuld auf sie. Er ging wieder zur See und ließ nichts von sich hören. Es verging eine lange Zeit. Er gehörte zu den Menschen, denen Liebe nichtswürdig ist, weil er sich nicht scheut ihren Gegenstand der Verachtung Preis zu geben. Er kümmerte sich nicht um sie, und das arme Mädchen wurde aus dem Hause des Gutsbesitzers ausgestoßen und ging im Sumpfe der Großstadt unter. Eines Tages als der Marineoffizier wieder auf schlechten Wegen jenseits des Ozeans war, sah er dieses Mädchen wieder. Da schlug sein Gewissen. Er fühlte das Verbrechen, das er auf sie geladen hatte. Er bezahlte die große Summe und verschaffte ihr in der Heimat ein neues Leben. Diese Tat können wir verstehen. Aber uns fehlt der Begriff für die Tat, die der hat, der ohne Befleckung durch die Menschen gegangen ist, und der dennoch nicht nur eine Summe, sondern sein Leben und sein Blut hingegeben hat, damit wir losgekauft würden aus dem Kerker der Schuld, aus den Fesseln der

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Sünde, aus dem Schuldhaus des Feindes, aus dem unterjochten Reich, das unter der Tyrannei des Feindes seufzt. Jesus ist es, der uns frei macht, daß wir nicht mehr Schuldner sind, um nach dem Fleisch zu leben. Jesus öffnet uns das Tor, daß wir frei sind. Jesus macht uns los, daß unsere Verpflichtungen hinfällig werden. Er hat unser Konto beglichen. Er macht uns frei.

Aber die Loskaufung des Christus geht weiter als jene Loskaufung, die jener Offizier vollzog. Das arme Mädchen kam mit gebrochenem Leben aus dem Kerker heraus. Wer aber die Loskaufung durch Jesus erlebt, wer von ihm frei gemacht wird, der bekommt seinen Geist und sein Leben. Jesus scheut sich nicht, sich mit den gefallenen Wesen zu verloben. Die Liebe Jesu geht so weit, daß er den entweihten Tempel unseres in Sünde beschmutzten Leibes zu seinem Eigentum macht und ihn zu seinem Haus macht. Seine Liebe geht so weit, daß er uns die Kraft gibt, das Treiben des Leibes zu ertöten. Sobald wir dem Fleisch nichts mehr schuldig sind, so bald wir dem Fleischesleben, der Wollust, der Lüge und dem Haß in nichts mehr verpflichtet sind, so bald sind wir im Geiste frei. Der Zwang der Sünde beruht auf Grund der Forderungen, die die Sünde an uns hat, weil wir mit ihm verheiratet waren. Aber Jesus macht uns los. Indem er uns von dieser Verschuldung frei macht, macht er uns auch von dem Druck los, daß wir nicht mehr nach dem Willen des Fleisches leben müssen. Denn sein Geist lebt in uns. Wir sind dadurch im Stande, die Triebe des Leibes zu ertöten.

Wir sahen, der Tod bedeutet die Zertrennung, die Zersetzung. Die Geschäfte des Fleisches ertöten bedeutet, wir sollen nicht das vernichten, sondern es gilt, es unschädlich zu machen, indem wir es zersetzen, indem es nicht mehr mit uns verbunden ist, sondern indem wir losgelöst sind. Wenn der Geist des Christus in uns ist, und wenn wir durch diesen Geist geleitet werden, dann beherrscht dieser Geist unser gesamtes Leben bis auf alle Betätigungen unseres Körpers. "Dies ist der Wille Gottes, eure Heiligung." Das ist der Wille Gottes, daß wir unsere Glieder Gott geben, von einem Dienst der Gerechtigkeit zu dem anderen.

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"Ich ermahne euch, liebe Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes, daß ihr eure Leiber begebet zum Opfer, das da lebendig, heilig und Gott wohlgefällig sei, welches sei euer vernünftiger Gottesdienst (Römer 12,1)." Es handelt sich hier um die Leiber. Es ist eine törichte Oberflächlichkeit, von der Rettung der Seele zu reden. Um die Leiber handelt es sich, um Leib, Seele und Geist, und zwar nicht zu einem toten Opfer, sondern zu einem lebendigen Opfer, das von dem Geist geleitet wird, um für Gott da zu sein, zu einem heiligen Opfer, indem alle Befähigungen des Körpers hingegeben sind an Gott, indem es geweiht ist dem lebendigen Gott. Wie kann das Opfer Gott wohlgefällig sein? Wenn der Geist des Christus in uns lebendig wirksam ist und uns ganz in Besitz hat, dann ist unser Leib ein Gott wohlgefälliges Opfer. Dann ist es Christus, den Gott in uns sieht, der unser Leben gestaltet. Dann tun wir seine Taten. Denn er selbst ist es, der unser Leben lenkt und bestimmt. Das allein ist praktisches Christentum, wenn wir durch diesen Geist geleitet und getrieben werden. Nur das sind Christen des Lebens, die geleitet werden durch den heiligen Geist. Es gibt eine Leitung des heiligen Geistes in allen Lagen des Lebens durch das innere Licht, durch das innere Wort. Diese Leitung des Christus bringt unser Leben in seine Fußstapfen. Diese Leitung des Christus bewahrt uns in seiner Gemeinschaft. Wie wir zu dieser Leitung kommen, das zeigt uns das 12. Kapitel aus dem Römerbrief, Vers 1. Die Leitung des heiligen Geistes ist da zu finden, wo hingegebene Liebe ist. Sie ist da, wo wir uns nicht der Welt gleichstellen, wo wir verändert werden durch die Erneuerung unseres Sinnes, wo wir innere Erlebnisse erneuern. Es ist so wichtig, daß wir Gläubigen es nicht für überflüssig halten, Stunden der Stille zu haben, in denen der Geist uns verändert. Das braucht nicht nur der Erweckte oder der gefallene Gläubige. Das brauchen wir alle, diese Erneuerung des heiligen Geistes. Dann werden wir verstehen, was der gute und vollkommene Gotteswille ist, und nur so werden wir die Triebe des Fleisches ertöten können. Nur so werden wir unter der Herrschaft des heiligen Geistes stehen können. "Alle, die sich von Gottes Geist leiten

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lassen, die sind Gottes Kinder." Wer von dem Geiste Gottes geleitet wird, der ist ein Kind Gottes, der ist angenommen von Gott. Gott hat uns verschuldeten Lebeleute, die wir längst alles aufgegeben hatten, was wir an Lebensfähigkeiten besaßen, als Kinder angenommen, hat uns von neuem seinen Geistesodem geschenkt, daß wir als seine Kinder sein Bild weitergeben, daß wir als seine wiedergeborenen Kinder leben und wandeln. "Alle, die durch den Geist Gottes geleitet werden, die sind Gottes Kinder." Es gibt keinen größeren Reichtum als den der Gottessohnschaft. Wir empfinden diesen Reichtum umso überwältigender, je ärmer wir uns fühlen. Die Tatsache, daß man kein König ist, empfindet nur der, der noch vor wenigen Wochen König war. Und derjenige empfindet nur die Freude, daß er ein Königskind ist, der noch vor wenigen Wochen ein Kind des Elends gewesen ist.

Ich las kürzlich die wunderbare Lebensgeschichte Barbaras, der Schwester der Gemahlin Peters des Großen. Diese war in Livland geboren und in dem Hause eines Pfarrers aufgezogen worden. Sie stammte von einfachen Eltern, hatte aber im Pfarrhause eine gute Erziehung genossen. Später wurde sie verschleppt und hatte das traurige Leben einer Geliebten zu erdulden, bis der Zar sie zu seiner Gemahlin erhob. Sie war nicht von ausgezeichneter Schönheit, aber sie besaß Gaben des Gemütes und des Gefühls, und sie verstand es, den Zaren, wenn er tobte, zu besänftigen, so daß er ohne sie nicht leben konnte. Einst kam er nach Riga, wo die Schwester der Zarin als Frau eines Goldschmiedes lebte. Als diese die Kaiserin sah, fiel ihr die Ähnlichkeit mit ihrer Schwester auf. Als sie darüber nachgrübelte, bekam sie die Gewißheit, daß die Frau des Zaren ihre Schwester sei. Ihr Mann riet ihr, sich an den Zaren zu wenden, da sie dadurch mit einem Schlage reich werden könne. Während der Mann nur den einen Gedanken hatte, erfüllte sie nur der Wunsch, der sie auch abhielt, sich ihrer Schwester zu entdecken. Es war das Gottesbewußtsein des Kindes Gottes. Denn sie lebte in Gotteskindschaft, in Gemeinschaft mit ihrem Vater. So verschloß sie ihre Entdeckung, und die Zarin erfuhr nichts von ihr, auch nicht als die schweren Tage über sie kamen. Barbara aber wurde mit Zinzendorf bekannt und lebte in der Gemeinschaft der Kinder Gottes und starb nach

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einem glücklichen Leben.

Ja, wenn wir wiedergeboren sind, so brauchen wir nicht die Ehren und den Reichtum der Welt. Wir leben im Reichtum seines Reiches, den uns niemand rauben kann. "Wir haben ja nicht einen Geist empfangen, daß wir uns abermals fürchten sollen, sondern wir haben einen kindlichen Geist empfangen, durch welchen wir rufen: "Abba, lieber Vater." Dann mögen sich die Standesordnungen und die Vermögenslagen ändern wie sie wollen. Wir sind als Gotteskinder in dem Geist der Sohnschaft, in dem wir rufen: "Abba, lieber Vater." Wir leben in dem Reich des Geistes, aus dem uns nichts geraubt werden kann.

Der, der in unserem Herzen wohnt, ist derselbe, der gesagt hat: "Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden." Er hat uns die Kraft seines Geistes gegeben. Nun tritt die Frage an uns: Was wollen wir wählen, den Reichtum der Welt oder die Gotteskindschaft? Wir alle stehen heute vor einer Wahl. Es gibt keine Wahl, weder die Wahl unseres Berufes noch die Wahl einer Braut oder eines Bräutigams, wie diese Wahl des Geistes, um die es sich heute handelt."Wenn ihr im Fleisch lebt, so müßt ihr sterben, wenn ihr aber durch den Geist des Fleisches Geschäfte tötet, so werdet ihr leben." Was wollt ihr wählen, den Tod oder das Leben? Ein jeder von uns muß wählen. Ein jeder muß sich entscheiden. Wer durch den Geist Christi seinen Leib beherrscht und regieren läßt, und wo es sein muß ertöten läßt, der wird heute noch zu dem Reichtum des Lebens kommen, der wird in Überlegenheit durch diese Welt schreiten wie Daniel durch die Löwengrube. Wer aber im Fleische bleibt, der wird sterben müssen, er verfällt der Zersetzung, dem ewigen Untergang. Heute ist die Entscheidung. Wollen wir nicht mit Paulus sagen: "Wir haben uns bekehrt, zu dienen dem lebendigen Gott."

[* Nicht klar im Original ob es Millionen oder Milliarden sind.]