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Versammlungsprotokoll, 5. August 1933 (Meeting Transcript, August 5, 1933)

EA 33/88

Additional Information
Author Eberhard Arnold
Date August 05, 1933
Document Id 0000000112_01_S
Available Transcriptions German

Versammlungsprotokoll, 5. August 1933

[Arnold, Eberhard and Emmy papers - T.S.H.]

EA 33/88

Aussprache Mit Gästen

Bruderschaft, 5. August 1933

(wahrscheinlich Eberhard:) Vor allen Dingen haben wir Ben und Hedwig Sander mit großer Freude zu begrüßen und hoffen, daß wir heute auch über die Noviziatsfrage zur Klarheit kommen können. Dann haben wir weiter Ernst Str. , Elsbeth D., Wilhelm Theissen (?) und Senta, Heinz Möller aus Köln, Marianne Vollbrandt aus Essen und Leonhard und Frau aus Fulda unter uns. Im ganzen sind wir wohl 149. Vielleicht fangen Willi und Lotte an.

Willi Klüver: Was ich auf dem Herzen habe, das möchte ich vorneweg sagen, daß mir die Klarheit geworden ist, nach der ich mich sehnte, daß ich mit euch voll und ganz den Weg Jesu nachgehen möchte. Wenn ich auch weiß und fühle, daß ich noch schwach bin, so weiß ich doch, daß mir auch die Kraft gegeben wird. Das habe ich besonders auch heute abend wieder erfahren, wo noch zu letzter Stunde der Geist der Zwietracht, des Unfriedens an mich herantrat und versuchte, mich von dem Weg abzulenken.

Vor vier Jahren lernte ich euch schon kennen. Wenn ich auch eigene Wege gegangen bin, so war doch ein Suchen und Ringen nach der Einheit da, und ich bin von Herzen dankbar, daß Gott auch auf meinem Wege das Licht scheinen ließ, und daß ich nun mit euch den Weg gehen kann und auch mit dazu beitragen, der Welt ein Zeugnis zu sein von Gott und seinem Reiche. Und ich bin gewiß, daß es nicht das eigene Wollen ist, sondern daß der Geist Gottes mir diese Klarheit geschenkt hat und auch die Freude, Jesu nachzufolgen.

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Lotte: Am Mittwoch habe ich einen Brief bekommen von meinem jüngsten Bruder. Er gehört zur Baptistengemeinde, gehört zum Vorstand. Der Prediger weiß, wo ich bin, wird ihm den Kopf heiß gemacht haben. Nun klang der ganze Brief danach, er bedauert das, und hat alles Mögliche versucht, daß ich doch wieder in die Baptistengemeinde zurückkehren möchte: ''Wenn wir Christus nachfolgen wollen, könnten wir das in der Baptistengemeinde, brauchten wir nicht nach dem Bruderhof." Mir hat das viel zu schaffen gemacht. Den Tag hatte ich mich entschlossen, Anfang kommender Woche abzufahren. . . . Dann handle ich gegen den Willen Gottes, weil ich innerlich anders eingestellt war. Den nächsten Tag 3/4 zu Hause, um in der Stille Klarheit zu gewinnen, daß ich nun nicht anders kann und hierbleiben möchte, darum bitten, daß ich mich anschließen darf. Ich kann den Weg in die Baptistengemeinde nicht mehr zurückgehen, weil ich nicht mehr mit dem übereinstimmen kann, wie es da ist. Vorher war ein innerer Zwiespalt und ein dauernder Kampf in mir, aber seitdem mir die Klarheit geworden, ist eine Last von mir gefallen, und ich bin innerlich froh und frei.

Eberhard: Wir sind dankbar für die kindlichen Worte. Es liegt alles daran, daß dieses Dunkle, Dämmrige vollkommen überwunden bleibt durch das helle klare Licht Gottes. Es ist eine Not, daß die Baptisten die Nachfolge Christi als eine ganz persönliche Angelegenheit auffassen und immer nur an das Besserwerden der einzelnen denken, die sich versammeln, um für die einzelnen die rechte Vergebung und Kraft zu finden. . . . [was den] Christusglaube soweit auflöst in viele kleine Punkte. Das Gemeinschaftliche besteht nur darin, daß diese vielen kleinen Pünktchen der kleinen Seelchen sich zusammensetzen zu einem Meer

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von kleinen Pünktchen. So ist die Zukunft Gottes nicht. Es handelt sich bei Jesus Christus um das Reich Gottes, um eine Weltenzukunft, welche alle Welten und alle Erdteile und alle Völker Jahrhunderte, Jahrtausende, Jahrmillionen umfaßt, um eine Zukunft, welche alle uns bekannten und unbekannten, geschaffenen und ungeschaffenen Welten Gottes in das Licht seiner vollkommenen Liebe ein tauchen. Wir glauben daran, daß dieses Zentralfeuer etwas anderes ist als die Zusammenfügung einzelner Seelchen, daß das innerste Zentralfeuer des Gottesherzens größer als alle Planeten, Völker, Welten, Menschenherzen.

Darauf kommt es an, daß wir die überragende Größe Gottes erkennen. Dafür hat Jesus sein Leben hingegeben, daß er die große gewaltige Gotteszukunft kommen sah, und freilich in diesem Zusammenhang hat er dann jedes einzelne Menschenleben ernst genommen, jeden aufgerufen, daß er herausgerissen werden sollte aus dem dämmerhaften Todeszusammenhang, daß er hineinversetzt werden sollte in das kommende Reich des Lichtes. Und deshalb wünschen wir unserem geliebten Willi und unserer lieben Lotte, daß sie beide, die ja als Verlobte einander dazu helfen möchten, daß diese Halbdämmerung des immer zu sehr auf das Persönliche bezogenen Christentums dem vollen Licht weichen möchte, in dem Jesus freilich das Persönliche nicht verachtete, indem er sagte: wenn jemand nicht ganz neu geboren wird, so kann er nicht in das Reich Gottes hineinkommen. Das Allesumfassende ist die Herrschaft Gottes.

Wenn wir das Schauerliche der Kriegswelten erfassen in ihrer ganzen Furchtbarkeit, werden wir die weltdurchdringende Größe des kommenden Reiches begreifen. Das wird uns herausreißen aus

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den allzu persönlichen Fragen des Selbstergehens. In die Sendung Jesu Christi und seines Reiches wird die Wiedergeburt . . . [hineingestellt] . . .

Ben (Sander): Wir freuen uns sehr, daß wir endlich hierher gefunden haben, Ihr wißt, daß wir schon früher kommen wollten, daß ich selbst nach den wenigen Tagen, die ich hier verbringen konnte, hier wegging mit dem festen Wunsch, es möchte mir doch gelingen, alle Schwierigkeiten, die ich sah zu überwinden. Die Hauptschwierigkeiten lagen weniger an diesen äußeren Umständen als im Inneren. Wir führten als Künstler ein Leben, das dem völlig entgegengesetzt ging als ihr es führt.

Wir waren durch die langen Kriegsjahre der Entbehrung, des Auseinandergerissenseins in einen Lebensstrudel hineingerissen, in dem wir uns mit . . . ., ohne es selbst zu merken. Erst mit der Zeit merkten wir, daß das nicht das Rechte sein konnte. Wir hatten es nicht mit Menschen zu tun, sondern mit dem Auswuchs der Menschheit. Aus diesem Grunde dauerte es vielleicht auch etwas länger. Wir waren gewohnt, das für Menschen zu nehmen, was wirklich etwas ganz anderes war. Wir betrachten es als eine Fügung des Himmels, daß wir durch einen Zufall auf diesen Weg gebracht wurden, und die Auseinandersetzungen zu Hause nach meinem Weggang von hier haben sich gar nicht so abgespielt, wie ich zuerst dachte.

Es waren natürlich Fragen zu klären, gerade in Bezug auf das Kind. Und ich habe mir lange überlegt, wie ich dem Kinde, das doch mit seinen 14 Jahren nicht mehr nur der geführte Mensch sein konnte, begreiflich machen konnte, daß es einem Leben, wie es das Leben um sich herum sah, entsagen sollte und ein ganz anderes Leben führen sollte, bewußt, daß es eine Umgestaltung

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unseres geistigen Lebens bedeutete, wenn wir den Weg hierher gehen wollten.

[Wir waren] innerlich so sehr erfreut, als gerade das Kind als erstes von uns mit Begeisterung zustimmte, in kindlichen Worten, Luft gemacht in einem Brief. . . .

Nun wißt ihr ja, was alles vorgekommen ist . . . . Der Tod des Kindes als solcher ist heute den sogenannten Medizinern noch ein Rätsel; er kam innerhalb 24 Stunden. Der Arzt sagt, das ist Grippe gewesen, der Ausnahmefall, der in zwei- oder dreitausend Fällen einmal vorkommt, daß Blutvergiftung . . . .

Wir haben anders darüber gedacht. Schon am selben Abend wußten wir es, nachdem der Tod vollkommen überraschend kam, daß das mit der medizinischen Wissenschaft gar nicht zu erklären ist, sahen die Hand eines Höheren, wußten, daß es eine Fügung war.

Vielleicht war es sogar notwendig, um uns den Weg zu zeigen. Und als ich heute Abend noch deine Worte hörte über den rechten Weg und die Erleuchtung dieses Weges, da bin ich mir auch ganz klar geworden, daß es notwendig gewesen ist, daß uns dieser Weg ganz grell noch einmal erleuchtet wurde, um ihn nicht zu verfehlen. Und wir mußten nun warten durch die Erkrankung van Hede . . . . Wir wären gern zu Dreien gekommen, nun sind wir nur zu Zweien.

Hede: . . . unterschreiben, was Ben sagte - bitten möchte, den Weg zur Gemeinde Christi und seiner Gemeinde - - -

Eberhard: . . . . daß ihr dann dort mit eurem Töchterchen vereinigt sein möchtet auf dem heiligen Wege Gottes. Ihr habt nun alles so hinter euch abgebrochen, daß ihr euren Entschluß zum Noviziat bekundet habt. Wir pflegen nach eine Bedenkzeit zum Noviziat vorzuschlagen, wenn es noch nicht ganz klar ist, ob wirklich Gott und seine Stimme uns gerufen hat. Es kann

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vorkommen, daß es mehr ein menschlicher Eindruck, ein idealistischer menschlicher Gedanke ist, Freude an solch einem schönen Bild, was ihn beseelt. Das würde nicht genügen, um ganz und für immer fest zu sein [in einer Zeit], die heute von tausend Gefahren bedroht ist. Es muß so sein: es war die ganz andere Welt des ganz anderen Reiches, es war wirklich Gott, der zu ihm gesprochen hat. Glaubt ihr, diese Hauptfrage, wer euch hierher gestellt hat, noch ein wenig bedenken zu müssen oder seid ihr euch darin klar?

Hede: Darin bin ich mir eigentlich klar.

Ben: Klar darüber bin ich mir auch, möchte euch aber nicht bitten, von einem Usus abzugehen. Handhabt das genau wie ihr das immer getan habt.

Eberhard: Wir nehmen euch von Herzen gern mit großem Vertrauen in unser Noviziat auf und bitten euch in kurzer Bedenkzeit das zu klären, ob es wirklich Christus und seine Wahrheit ist . . . . Wenn ihr dann ganz eindeutig Zeugnis geben könnt mit immer wachsender Gewißheit, könnt ihr die einzelnen Noviziatsverpflichtungen mit Tapferkeit auf euch nehmen.

Wilhelm Theissen: Darf ich einige Worte sagen? Ich bin hierhergekommen als suchender, zweifelnder Mensch, ich bin gekommen, nicht mit ganz großen Hoffnungen. Ich habe ja nichts gewußt von dem Leben der Bruderschaft, daß ein derartiges Leben überhaupt in Deutschland bestanden hat. Ich habe in meinem Leben gesucht nach einem Gott. In der Religion, in der ich aufgezogen bin, habe ich den Gott nicht finden können, der mir vorgeschwebt hat. Vielleicht war das Bild von Gott, das ich mir machte, nicht das richtige. Ich habe in der letzten Zeit einige zerrissene

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Menschen gesehen, Menschen, von denen der eine vielleicht noch zerrissener und friedloser sein Leben dahinbrachte, ich habe vom ersten Augenblick Menschen gesehen, denen man die innere Zufriedenheit . . . an der Arbeit, Liebe zum Nächsten angesehen hat . . . sehr großen Eindruck . . . Bitte noch einige Zeit erproben zu dürfen bis mir innere Klarheit wird, ob hier der richtige Platz für mich ist. Ich freue mich, mitarbeiten zu dürfen für andere, die nicht arbeiten können und somit das Leben möglich zu machen - kann heute noch nicht viel sagen. . . .

Eberhard: Wir möchten unsern lieben Wilhelm Theissen im Sinne seiner Bitte von Herzen begrüßen und ihn und uns auffordern, den Blick zu weiten, die ganz ungeheure Not der Menschheit zu sehen. Wenn er das große, entscheidende Ereignis erwartet, was in Christus und seinem Geist zu uns kommen will, wird jedem von uns, auch dir, das erfüllt werden, wonach unsere gequälten Herzen sich sehnen.

Marianne Vollbrandt: Ja, ich stehe eigentlich noch mitten im Kampfe. Ich kann noch nicht viel sagen. Ich will nicht sagen, daß es unklar ist in mir, aber es kommt mir manchmal vor, als wenn man mit Worten Dinge, die noch sehr zart in einem sind, entweihen könnte. Ich habe so viel erlebt, bin so zerrissen worden, daß es bei mir wohl nicht ganz so schnell geht wie bei anderen, ehe ich zu dieser Einheit zurückfinde. Ich glaube, daß ich als kleines Kind in dieser Einheit gestanden habe. Ich habe die große Sehnsucht, . . . . es ist stärker in mir wach geworden. Ich bitte euch, daß ihr an mich denken möchtet.

Eberhard: Ja, das wollen wir von ganzem Herzen tun. Wir dürfen in solcher inneren Lage nichts überstürzen und nichts übers Knie brechen, sondern wir müssen glauben, daß das von Gott her kommt,

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von ihm her wächst und auf ihn hin wächst.

Wir sind im heil‘gen Warten zu Haus

Das war ja die Haltung der ersten Jünger Jesu, die die Vorbedingung war, was in völliger Gewißheit der Stunde harrte, die Gott erfüllen würde.

Eberhard: Es ist in unserer Mitte während unserer Abwesenheit ein kleines Kind geboren, und es wird der Name Magdalena vor geschlagen. Wir sind Gott unendlich dankbar, daß er unserer geliebten Trautel [Dreher] in dieser schweren Stunde so beigestanden hat und daß - zu dem kleinen Bub auch ein kleines Mädel geschenkt worden ist, das wir zur gegebenen Stunde Gott darstellen wollen. Das, was da geschehen ist in dieser Verleiblichung einer aus der Ewigkeit herkommenden Seele, die diese Welt aufgesucht hat, um, wie wir glauben und hoffen, ein Werkzeug zu werden für das in diese Welt zu allen Menschen kommende Licht, das sollte in anderer geheimnisvoller Weise beständig geschehen, jeden Augenblick geschehen in uns allen und in der Mitte von uns allen, inmitten unseres gemeinsamen Lebens - das Geheimnis der Geburt, die Bewegung des Geburtengrundes durch die Allmacht Gottes, daß neues Leben das Licht der Welt erblickt, daß aus der anderen Welt her neues Leben in diese Welt eindringt.

Ich möchte dem Namen Magdalena zustimmen.

Alle: Ja!