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Die Lebensgemeinschaft und die Zukunft der Arbeit

EA 20/21a

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Author Eberhard Arnold
Date January 01, 1920
Document Id 20125978_23_S
Available Transcriptions German

Die Lebensgemeinschaft und die Zukunft der Arbeit

[Arnold, Eberhard and Emmy papers – Df.]

EA 20/21a

Die Lebensgemeinschaft und die Zukunft der Arbeit

Lebensgemeinschaft setzt Leben voraus. Wir erkannten es, daß dasLeben Gemeinschaft des Lebens ist. Es gibt kein Leben, das nicht Gemeinschaft lebt. Wir können aus der uns vertrauten Natur, aus den organischen Lebewesen, die uns als lebendige Körper von Kind auf bekannt sind, diese Tatsache deutlich erkennen und feststellen. Es ist nicht notwendig, daß wir Tiefseeforscher sind. Als solche würden wir aus der Tiefe des Meeres die Einsiedlerkrebse mit den Seerosen hervorholen. Wir würden sehen, wie diese merkwürdigen Krebse mit ihren zartempfindlichen Hinterleibern sich in das Schneckengehäuse einer abgestorbenen Schnecke verkriechen. Aber noch sind sie vor den ihnen so außerordentlich gefährlichen Raubtieren der Tiefsee, vor den Polypen in diesem Gehäuse nicht sicher, denn diese könnten mit ihren Fangarmen den Krebs aus der Schneckenschale hervorholen und den dann Schutzlosen verzehren und vernichten. So verbindet sich der Einsiedlerkrebs in Siedlungsgemeinschaft mit der Seerose, die sich auf die Schale des Schneckenhauses setzt, in dem der Krebs lebt. Diese Seerose mit ihren stachligen Armen, dieses merkwürdige Tiergebilde mit dem Aussehen einer Pflanze umklammert das ganze grosse Schneckenhaus und setzt sich daran so fest, so daß eine Ablösung schier unmöglich erscheint. Kommt nun eine Gefahr an den Einsiedlerkrebs heran, so schützt die Seerose mit ihren stachlichen Armen ihren Lebensfreund und Lebensgenossen

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vor der drohenden Gefahr. Aber auch der Krebs bleibt in diesem Verhältnis der Gegenseitigkeit seinen Dienst nicht schuldig. Er übernimmt die Fortbewegung der gemeinsamen Wohnung, während die Seerose immer auf demselben Fleck bleiben müßte. Der Freßmund der Seerose ist immer bereit, alles, was ihr auf dem Wege des wandernden Krebses zufällt, aufzufangen. Diese Nahrungsmittel wiederum sind so reichlich, daß der eine der beiden immer dem andern aus dem Überfluß abgeben kann, sodaß nun diese so ganz verschiedenartigen Lebewesen in einem einzigen Hause in Hausgemeinschaft leben seit urdenklichen Zeiten. Sie sind so unendlich weit artverschieden, daß keinerlei Geschlechtsverhältnis, sondern vielmehr nur Lebensgemeinschaft als Arbeitsgemeinschaft unter ihnen walten kann. Aber wir brauchen nicht in diese Meeres-Untiefen herabzusteigen, wir brauchen nur in unsere eigenen Wälder zu gehen, um entsprechend dasselbe zu sehen. In den Gebirgswäldern z.B. können wir feststellen, wie sich an alte Baumästen merkwürdige Flechtengebilde angeheftet haben, die dem Baum ein wunderbar altes, romantisches Aussehen verleihen. Als Kinder haben wir uns wohl Rübezahlbärte, oder, wenn wir noch wilder veranlagt waren, Teufelsbärte aus diesen Flechten ins Gesicht geklebt. Auch diese Flechte stellt eine Lebensgemeinschaft gegenseitigen Dienstes dar. Es ist lange unentdeckt geblieben, daß diese Flechten eine Arbeitsgemeinschaft zwischen zwei ganz verschiedenen Lebewesen und Lebensarten ist, zwischen einer Alge und einem Pilz, weil diese beiden Glieder Lebensgemeinschaft nur miteinander und untereinander vorkommen. Sie leben überhaupt niemals allein, sie haben alle Lust und allen Spaß verloren, allein aufzutreten. Sie haben das durch ihr Urerbe des gemeinsamen Lebens so verlernt, daß sie in die Einsamkeit gesetzt, überhaupt nicht mehr leben könnten. Sie sind nur in der Gemeinschaft lebensfähig. Wenden wir im Walde den Blick von den hohen Bäumen auf die Erde und heben dort einen Stein auf, so finden wir dort ein Ameisenvolk, eine Stammeseinheit, die in einem wunderbar entwickelten sozialen Gemeinschaftsgefühl lebt. Was unter den Menschen das Primitivste, das Unentwickeltste ist, daβ wir so fortschrittsfrohen Menschen so jammervoll schwach aufzuweisen haben, diese sozialen

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Instinkte des Zusammenhangs des Lebens und der gemeinsamen und gegenseitigen Förderung, finden wir am stärksten bei diesen Völkern der Bienen und Ameisen und ähnlich bei vielen anderen Insekten. Wir beobachten bei diesen Ameisen, daß das Staatsleben und Arbeitsleben eingeteilt ist, daß ganze Scharen einzelner Lebewesen zur großen Opferung ihrer eigenen Interessen bereit sind, daß fast alle weiblichen Wesen den Genuß ihres Geschlechtstriebes und Fortpflanzungsdranges für die Gemeinsamkeit des großen Volkes aufopfern und so als Arbeitsameisen und Arbeitsbienen sich dem Ganzen hingeben. Ja wir können feststellen, daß der gegenseitige Dienst der gegenseitigen Arbeit auch eine ganz bestimmte Arbeitsteilung innehält. Nicht nur für die Fortpflanzung, sondern auch für den Bau der unerhört großen Gebäude, die im Verhältnis zu der Kleinheit der Ameisen größer als die ägyptischen Pyramiden, großer als der Eifelturm; höher als unsere größten Gebäude erscheinen müssen. Aber wenn wir in das Leben der Ameisen tiefer hineinblicken, dann erkennen wir etwas, was uns weiter hinausführt über die bloße Interessengemeinschaft des Staates oder des Volkes, über die bloße Blutsverwandtschaft der Artzusammengehörigkeit. Wir Menschen brauchen nicht darauf stolz zu sein, daß wir uns Haustiere halten. Auch die Ameise hat diese Gewohnheit längst angenommen. Die Ameise hat Milchkühe, die einen bestimmten Nährsaft absondern. Sie hat zwei Arten von Melktieren, die sie in ihren Dienst stellt, von denen die eine Art einen ernährenden zuckrigen Saft und die andere Art einen berauschenden erfrischenden Saft schenkt. Die Anti-Alkoholbewegung scheint noch nicht Fuß gefaßt zu haben in dieser Volkschaft. Das Merkwürdigste ist, daß das eine dieser beiden Tierchen überhaupt ohne die Gemeinschaft mit der Ameise nicht vorkommt. Man könnte vielleicht von dem anderen Tierwesen behaupten, daß es einfach von der Ameise ausgenutzt wird, ebenso wie man auch behaupten könnte, daß wir die Kühe für unsere selbstischen Interessen ausnützen, worüber aber ernstlich gesprochen werden könnte.

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Aber daß das eine der beiden Tierchen ohne die Ameise überhaupt nicht vorkommt, und daß die Ameise für diese ihre Hausbewohner so sorgt, daß arbeitende Ameisen dieses Tierchen auf die Weide führen, es aufnehmen und zu den Blättern tragen, die das Tier braucht, um leben zu können, es dann auch wieder nachhause und in den Stall führen, zeigt doch deutlich, als wie stark gegenseitig dieser Lebensdienst angesehen werden muß. Noch viele andere Beispiele aus dem praktischen Leben der Tierwelt könnten wir anführen. Aber wir brauchen schließlich nicht einmal diese einzelnen außerordentlichen lebendigen und interessanten Bilder der gegenseitigen Arbeitshilfe nach der Art des Einsiedlerkrebses und der Ameisen und ihrer Haustiere aufzusuchen, sondern wir können an viel einfacheren und viel bekannteren Lebenswirkungen der Gegenseitigkeit das Hauptgeheimnis des Lebens erkennen. Es ist nicht so, daß die Fortpflanzung immer nur durch den gegenseitigen Genuß der beiden Geschlechter zustande kommt, sondern wir sehen es, daß die Blume durch ihre Farbe und durch ihren Duft einen Liebesboten anzieht. Einen Schmetterling etwa oder ein ähnliches Lebewesen und daß dieses Tier aus der Blume einen Nektartrank empfängt und dafür den Dienst übernimmt, den befruchtenden Samen in frohem Fluge hinüberzutragen zu der anderen, der weiblichen Blume, die ohne diesen Samen nicht Frucht tragen kann. Und weiter können wir gehen. Wir können noch einfacher werden und können uns daran erinnern, daß auch unser Einatmen und Ausatmen ja nichts anderes ist, als eine Gegenseitigkeit des Liebesdienstes zwischen der Pflanzenwelt und der Menschen- und Tierwelt, und daß hier der Liebesdienst nicht darin besteht, daß sich der Eine für den anderen aufopfert oder dass gar, daß der andere von dem einen aufgefressen wird; sondern es geht vielmehr hier dahin, daß diejenigen Stoffe die für den einen als verbraucht ausgeatmet werden, von den anderen als das wirksamste Lebensbedürfnis ozonreiche Luft dankbar ein-

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gesogen werden, und ebenso umgekehrt. Es gäbe noch andere Beispiele und Bilder, die in der Landwirtschaft in alltäglicher Arbeit, vielleicht in diesem Saale als nicht salonfähig empfunden würden, Bilder der Gegenseitigkeit des Dienstes, wiederum von der Ausscheidung der Tiere zur Befruchtung der Äcker und Wiesen. Wir mögen hinsehen, wohin wir wollen, eine Fülle von Naturbeispielen beweist es uns, jede Herde wilder Pferde oder wilder Büffel oder irgendwelcher anderer Tierwesen zeigt es uns, daß die Solidarität des gemeinsamen Einstehens für einander und die Gegenseitigkeit des gegenseitigen Schenkens von Lebenskräften das Urprinzip des Daseins ist. Das Prinzip der gegenseitigen Hilfe ist die stärkste Kraft in der lebendigen Welt. Es ist der Wille zur Liebe, den wir hier als das Geheimnis des Lebens und zugleich als Offenbarung der Lebensgeheimnisse erkennen. Und wenn wir schon erwähnten, daß Nietzsche den Schopenhauer fragte: Wie kann denn Wille etwas sein, wenn ich nicht weiß, was ich will? Ich brauche doch eine klare Erkenntnis, was das Leben ist, wenn ich das Leben wollen will, so müssen wir heute einen Schritt weiter gehen und müssen sagen: auch die Antwort, die Nietzsche dem Schopenhauer gab, daß der Wille zur Macht, die Ausdehnungskraft, die Entfaltung der Energie der Wille zum Leben sei, müssen wir weiter fragen: ja, welche Macht denn? Worum handelt es sich in dieser Entfaltung des Seins? Wirklich sieghaftes Leben entfaltet sich nicht in der Überwältigung und Tötung anderen Lebens: sondern die wahrhaft siegende Ausbreitungskraft des Lebens ist die Umfassung aller lebendigen Wesen und aller körperlichen Welten in einer einzigen allumfassenden Bewußtseinseinheit. Der Wille zur Liebe ist jener Wille zur Macht, der die Urkraft des Lebens ist. Und wir sehen es an den entscheidenden Beispielen des astronomischen Himmels ebenso des mikroskopischen Kosmos der Atome und Elektronen, an dem Aufbau aller lebendigen Körper, daß hier auch im Allerinnersten, das Eine ist, was

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die Welt im Innersten zusammenhält, jene Kraft der Liebesspannung in der Kreisbewegung um einander, jene Bewegung rhythmischer Beziehung, die aus polarer Spannung heraus miteinander lebt und miteinander wirkt: Die Liebe in der Kreisbewegung und in der Gegenseitigkeit des bewegten Aufbaus. Es gibt kein Leben ohne Bewegung. Und es gibt keine Bewegung, die nicht eine Kraftbeziehung der Gegenseitigkeit wäre. Die Bewußtseinseinheit, der umfassende Einheitsgeist also ist das Ziel und das eigentliche Lebensgesetz der gesamten lebendigen Natur im einzelnen, wie im gesamten! Aber freilich, das ist uns klar, die unbedingte Kraft, die in dem Expansionsdrang dieses Bewußtseins liegt, die ungeheure Energie, die in der Entfaltungsmacht dieser Liebe gegeben ist, birgt eben die Gefahr in sich, die jede Spannung in sich trägt. Gerade wie es in der Geschlechtsliebe ist, daß die Spannung zwischen den Geschlechtern entweder zur unerhörten Verherrlichung und Erhöhung des Typus Mensch oder aber zur endgültigen Verderbnis, zu dem endgültigen Untergang des Lebenswertes Mensch führt, gerade so ist es mit dem Leben überhaupt. Jene Spannung in der Bewegung, jene Spannung zwischen dem Zueinanderwollen und dem sich voneinander Wegbewegens, die zur Kreisbewegung umeinander und miteinander führt, jene Spannung zwischen der notwendig bedingten Distanz und der tiefen Hörigkeit des Einandervölligangehörens, das ist die Not des Lebens, in der wir heute stehen. In dem Willen der Liebe zur Macht der Liebe liegt die Gefahr des Todes verborgen. Dem Prinzip der gegenseitigen Hilfe steht das Prinzip des Tötens und Verzehrens, des Verdrängens und Verschlingens, des Begehrens und Überwältigens entgegen. Gegenseitige Hilfe und Kampf ums Dasein! Das Leben und der Tod sind die beiden Urmächte, mit denen wir es zu tun haben. Das nun ist unsere Behauptung: der Kampf ums Dasein, dieser unbestreitbare machtvolle Faktor unseres augenblicklichen Daseins ist nichts anderes als Entartung jenes Lebenswillens, der Macht und Entfaltung der Liebe, der die Gegenseitigkeit will. Freilich meinen wir in diesem Gegensatz-Paar als Kampf ums Dasein nicht die Aufgabe der Bewältigung, Beherrschung und Formung der Materie,

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die Bewältigung der Hemmnisse und die Überwindung der eigenen Ermüdungserscheinungen. Das alles muß bleiben, solange es Leben und Aufgaben des Lebens gibt. Aber der Kampf ums Dasein, der als Krieg aller gegen alle, in der Gefolgschaft Darwins von so vielen, die Darwin nicht verstanden haben, als das einzige Prinzip des Lebens erklärt wird, ist eine Lebens-Entartung, die beseitigt werden muß. Statt des Einander Umkreisen, stürzen jetzt hier die Gestirne ineinander und zerstören einander. Die Einschußtrichter in der Mondleiche am Nachthimmel zeigen uns das erschütternde Drama dieses distanzlosen Ineinanderstürzens auch am astronomischen Himmel; denn wir glauben es heute nicht mehr, daß jene großen gewaltigen Krater auf jenem astronomischen Leichnam des Mondes von vulkanischen Ausbrüchen herstammen. Sondern wir haben erkannt, daß sie die Einfallstrichter der großen und kleinen Meteorsteine und anderen Auflösungspartikel sind, die einst wie der Mond um die Erde kreisten. Und wie so der größere Mond die kleineren Trabanten der Erde verschlungen hat und dabei selbst erschlagen worden, seines Luft- und Wasservorrates, dieser einzigen Lebensbedingungen des Gestirns beraubt worden ist, so ist auch unter den Lebewesen der Erde die Gegenseitigkeit der Beziehung einer ununterbrochenen Gefahr des Verdrängens und Tötens, des Aussaugens und Ermordens, des Luft-Raubes und Land-Raubes ausgesetzt. Der Tod ist eine Tatsache unseres gegenwärtigen Lebens. Wie wir in unserem Körper das Geheimnis des Lebens in der Umkreisung der Atome durch die Elektronen, an dem gegenseitigen Aufbau der organischen Glieder des Körpers zu einem Gesamtbewußtsein eines einheitlich beseelten Leibes vor uns sehen, so dürfen wir als ehrliche Menschen auch das dunkle andere nicht verschweigen: daß wir immer und überall den Tod mit uns herumtragen, daß auch der gesundeste Körper mit tödlichen Bazillen behaftet ist: daß wir alle fortgesetzt vergiftet werden. Wir denken von neuem an den Vergleich des Einzelwesens mit einem Strudel im stürzenden Gebirgsbach. Wie dieser Strudel immer wieder und

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ununterbrochen Wasser abgibt, das von ihm wegströmt, so scheiden alle lebendigen Wesen ununterbrochen Giftstoffe und abgelöste, dem Leben verloren gegangene Ausscheidungsstoffe ab. In dem Leben unseres lebendigen Körpers muß ununterbrochen Leben geopfert werden. Wenn wir neue Lebenszellen aufbauen indem wir atmen und essen, so stoßen wir zugleich veraltete Lebenszellen von uns, die bereit geworden sind, ihren Platz der neuen Jugend hinzugeben. Und wie es in unserem Körper ist, in dem Einzelleib des einzelnen Lebewesens, so ist es in der Gesamtheit der vielen lebendigen Wesen. Die Tatsache des Todes ist unbestreitbar. Niemand von uns weiß, wer der nächste sein wird, der von den anderen zu Grabe geleitet wird. Aber daß wir uns von einander trennen müssen, solange diese gegenwärtige Welt so besteht, wie sie ist, das wissen wir. Es gibt eine Trennung vom Leben und diese Trennung vom Leben ist Opferung immer neuer einzelner Wesen, um lebensfähigerem Leben Platz zu machen. Die endliche Auflösung der Lebenseinheit des vorher beseelten Körpers ist Zerfall, ist Verwesung. Wir dokumentieren dies dadurch, daß wir die zerfallende Leiche aus unserer Mitte hinwegtragen und sie fern von uns der Erde, dem Feuer oder dem Wasser übergeben. Die Weltnot offenbart sich letztlich als Sterben des Lebens. Am ersten Abend schon sahen wir es, daß der Mammon mit seiner Lüge und mit seiner Untreue und Unreinheit ein ununterbrochenes Ermorden des Lebens bedeutet. Er ist der Mörder von Anfang. Tod ist in der Lebewelt dieser Erde; und es gibt immer und überall bereitwillige Diener des Todes, - nicht nur solche, die der Leiche das Ehrengeleit geben und ihren Sarg tragen und in die Grube versenken und die drei Handvoll Erde darauf werfen, sondern überall und immer hat es auch Menschen gegeben, die bereit sind, lebendige Wesen zum Tode zu befördern. Es gibt keine lebendige Erdgesell-

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schaft. Wir sind heute noch nicht in einer Lebensgemeinschaft der diese Erde bevölkernden Lebewesen, wie sie jener wunderbaren Gegenseitigkeit der Welt, der Tiere und überhaupt der Lebewesen menschlich entsprechen müßte. Wir begegnen der wahrhaft ungeheuerlichen Tatsache, daß mitten in der Welt der Gemeinschaft und Gegenseitigkeit des Lebens gerade unter den höchsten Lebewesen, den Menschen, die gesteigertste Gegenseitigkeit der Feindschaft und des Ermordens, des Zu-Tode-Bringens besteht. Der Kampf ums Dasein als tödlicher Haß ist immer und überall und so auch heute in unserer Mitte eine so gewaltige Macht, daß wir alle es verstehen können, wenn viele Menschen zu der pessimistischen Verzweiflung gelangen, daß sie an nichts anderes mehr glauben, als an diese Macht des Bösen, daß sie immer nur das Eine aussprechen: "Die Liebe ist erlogen und nur der Haß ist echt!" Wir begreifen es, daß unter unseren Brüdern und Schwestern immer wieder Menschen zu finden sind, die keiner guten Tat und keinem guten Wort mit Vertrauen entgegenkommen können, Menschen die immer und überall in ihrem zerquälten und verzweifelten Herzen die Vermutung bewegen, irgend ein schlechtes Geheimnis muß hinter allem Guten stecken, irgend etwas Böses im eigenen Interesse, immer zur Zerstörung der anderen Interessen, muß doch das Entscheidende sein. Wir begreifen diesen Lebenspessimismus. Wir begreifen nur eines nicht dabei: wie diese unsere Mitmenschen nur das Leben ertragen können. Eins sind wir mit diesen unseren Brüdern unerhörten Weltleides und verzweifelnder Weltnot, gerade wenn sie uns in ihrer Furcht vor dem verborgenen Bösen hassen müssen, umso mehr hassen müssen, je mehr wir von der Liebe sprechen, eins sind wir darin, daß wir mit ihnen die Todesnot dieses Daseinskampfes als das Erschreckendste und Schauerlichste tragen und empfinden wollen, das die Menschen treffen konnte. Überall in den Kriegen der Völker, im Kampf der Klassen, im Ringen der

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Geschlechter, in der Gewalt des Besitzes und im Haß des neidischen hetzenden Begehrens, in der Arbeit der Konkurrenz, in der Ausbeutung unterjochter Arbeitskräfte und in dem blutigen Aufruhr derer, die auch wieder an die Macht gelangen wollen, nicht zum wenigsten in der rasenden Wut theologischer, religiöser und parteidoktrinärer Unduldsamkeit, in immer erneuten Wellen schmutziger, emporzischender Wogen erleben wir diese schauerliche Tatsache, welche Macht der Haß, der Wille des Todes unter uns lebendigen Wesen besitzt. Tod und Katastrophen scheinen das Schicksal dieser Erde und ihrer Menschheit zu sein. Ein schauerliches Ende sehen wir vor uns. Gustav Meyrink, der trotz allem mehr als ein kitschiger Sensationsdichter ist, hat einmal vor dem Weltkrieg etwas Furchtbares erlebt. Er hat es niedergeschrieben, bevor der Krieg gekommen ist. Er hatte eine Schau gehabt, in welcher er aus unserem deutschen Lande entrückt wurde: hinüber in die weiteste Ferne des äußersten Ostens. Dort trat er vor einen Teufelspriester, der von Kopf bis zu den Füßen in ein rotes Gewand eingehüllt, streng und abweisend vor ihm stand. Er aber, in seiner unersättlichen Gier, alle übernatürlichen Dinge zu erkennen und zu erfassen, selbst wenn sie der Teufel selber wären, bittet diesen Teufelsanbeter, ihn in seine Schauer einzuführen. So oft der rote Priester der Finsternis sein Flehen ablehnen will, bittet er wieder und wieder: nur ein Mal, ein einziges Mal gewähre mir deine Schauer! Er weiß nicht, um was er bittet. Aber er weiß diesen Diener des Bösen so lange zu bestürmen, bis dieser seine Flöte nimmt, ein kleines still blasendes Instrument und ihr Töne zu entlocken beginnt. Vorher hat er dem Menschen, der ihn um diesen Satansdienst gebeten hat, ein Blatt Papier aus der Hand genommen. Es war nichts anderes Weißes in der Nähe zu finden, als dieses Blatt, das der Priester auf die Erde gelegt hat. Es ist die Karte von Europa. Und er bläst auf seiner Flöte. Und Scharen und Aberscharen von Grillen eilen heran und versammeln sich auf diesem Blatt Papier. Sie stellen sich wie in einer Totenstarre, wie in einer dämonischen Lähmung einander gegenüber auf. Als sie in großen Mengen versammelt sind, stürzen sie sich plötzlich auf einen grellen Schrei der Flöte aufeinander und zerfleischen

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einander in unendlicher gegenseitiger Vernichtung. Immer neue Scharen stürzen heran, unübersehbare Tausende unglücklicher Lebewesen, die einander dem Tode überliefern, bis schließlich auf dieser Karte, der Landkarte von Europa, ein schier unendlicher Haufe von Leichen aufgebaut ist. Als nun endlich der gequälte Mensch die Schrecken dieses Teufelswerkes, das er heraufbeschworen, nicht mehr ertragen konnte, als endlich die Ahnung in seinem Herzen aufging, was diese teuflisch besessenen Grillen bedeuten, blies der Priester der Dämonen weiter und weiter auf seinem Mordinstrument. Sein Ende fand dieses Grauen erst dann, als nicht mehr genug Grillen herankommen konnten, als es nicht mehr genug Lebewesen gab, um einander zu Tode zu bringen. Soll diese Todesschöpfung das Ende sein? Ist so das Schicksal, dem wir entgegen gehen? Es ist kein Zweifel, daß die Zeit des Gerichtes noch nicht vorüber ist, daß weitere Schrecken dieser Greuel uns bevorstehen. Und dennoch bin ich gewiß, daß dies nicht das Ende aller Enden ist, daß der Teufel nicht das letzte Wort hat. Die Macht des Bösen ist die Finsternis. Wir müssen durch den Tod der Finsternis hindurch. Wenn wir heute in dieser Finsternis die Ungerechtigkeit der gegenseitigen Ermordung, die Lebensfeindlichkeit der Auflösung aller Gemeinschaft und allen Vertrauens erleben, wenn der Krieg aller gegen alle noch heute die Losung des Tages ist, so wundern wir uns nicht. Das Leid der Welt in ihrer Not muß offenbar werden. Das Gericht geht über diese Welt, in dieser unserer Stunde; und in den kommenden Tagen. Was wir durchmachen müssen, das keinem, auch dem Oberflächlichsten nicht erspart bleibt, entspricht jenem Ureindruck des Weltbildes, das Schopenhauer mit einem Pendel und mit einer Wagschale verglichen hat. Wie ein Pendel hin und her, hin und her schwingt, so ist unser Dasein ein Hin und Her zwischen Begierden und Ekel, zwischen Ekel und Begierde. Und wenn man auf einer Waage auf die eine Seite den Jammer der

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Menschheit und auf der anderen Seite die Schuld der Menschheit legen könnte, wahrhaftig, die Waage würde einstehen! Das Gericht geht über diese Erde. Der Tod ist der Sold der Sünde und er ist zugleich der letzte Feind, der überwunden werden muß. Nur wo die Sünde an der Wurzel gepackt ist, kann der Tod überwunden werden! Nur wo die Vergiftung in ihrem Uranfang entgiftet wird, kann Lebensgemeinschaft entstehen! Anders niemals. Gewiß, wir wissen es, daß dies heute noch bei vielen auf Unverständnis stoßen muß, daß vielen der Gott dieser Welt die Augen verblendet hat, daß sie in ihrer Finsternis nicht zu sehen vermögen, welches Licht die Nachricht der großen Zukunft ihnen schenken will. Gustav Landauer, der in der Revolution auf der Straße getötet u. m. Stiefeln zertreten ist, Gustav Landauer, einer der tiefsten Kenner deutscher Mystik, einer der gewaltigen Darsteller aller Geheimnisse Shakespeares, der den Aufruf zum Sozialismus geschrieben hat, hat ein Wort von Jesus gesagt, das manchem heute zu denken geben sollte: Stelle einen Philister vor Jesu, der in seinem Reichtum [in der Ausgiebigkeit seiner unerschöpflichen Gestalt nebst dem, was er überdies für den Geist und das Leben bedeutet, auch ein gewaltiger Sozialist ist, stelle einen Philister vor den lebendigen Jesus am Kreuz und vor eine neue Maschine zur Fortbewegung von Menschen oder von Sachen: Er wird, wenn er ehrlich und kein Bildungsheuchler ist, das gekreuzigte Menschenkind als eine total unnütze und überflüssige Erscheinung finden und hinter der Maschine herlaufen. Und doch! Wie viel mehr wahrhaftig bewegt hat diese stille leidende Größe des Herzens und des Geistes als alle Bewegungsmaschinerien dieser Zeiten! Und doch! wo wären denn alle Bewegungsmaschinerien unserer Zeiten ohne diese Stillen, Ruhenden, Leidenden, Großen am Kreuz der Menschheit.] So Gustav Landauer im "Aufruf zum Sozialismus," Seite 47/48, 2. Auflage bei Cassirer. Hier stehen wir vor der großen Entscheidung: Die Berufung zum Leben ist da. Der Tod ist da. Hier ist der Lebendige, der wahrhaftig Auferstandene! Hier ist Leben aus dem Tode! Hier ist das Urleben offenbar geworden, wie aus dem Zusammenprall zweier Gestirn-Welten eine neue Gestirnwelt, ein neu geborenes Sternenkind erster Größe aufleuchtet. Der eine Leib zerbricht. Er verblutet am Galgen. – Der andere Leib ersteht. Er lebt als der einzige umfassende Organismus lebendiger Einheit auf dieser Erde. Es gibt wirkliche Gemeinschaft, eine geist-leibliche Einheit

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mitten in der Menschheit. Es gibt noch keine Erdgesellschaft. Noch ist die Menschheit zerspalten. Und dennoch: Es Gibt eine Gemeinde auf der Erde. Sie kann nicht mit einer Kirche, irgend einer Benennung verwechselt werden. Sie kann ebenso wenig mit irgend einer Sekte irgend einer Bezeichnung gleichgesetzt werden. Aber, daß diese Gemeinde da ist, das ist die einzige Wirklichkeit lebendiger Menschen-Einheit auf dieser Erde. Wenn wir uns der Lebensgemeinschaft und der Zukunft der Arbeit erschließen wollen, muß uns das Geheimnis dieser werdenden, wachsenden Gemeinde aufgehen. Der Weg zur Gemeinschaft der Menschen kann einzig und allein verstärkte Intensität des Geistes, Vertiefung des Geisteslebens sein: Das Durchkämpfen der innersten Spannung und der innersten Bewegung im Verborgensten, in dem mit keinem Mikroskop auffindbaren Ursein der Seele und des Geistes. Dort, wo Gottes Geist unserem Geist Zeugnis gibt, dort, wo alle Worte zum Schweigen kommen, wo alles, was wir tun können, ganz aufhört, dort muß das Entscheidende geschehen. Anders kann Gemeinschaft nicht werden. Der verbindende Geist will die Menscheit zu einem solchen Einheitsbewußtsein zusammenbringen, wie wir in unserem Leib in einer Bewußtseinseinheit zu einer Persönlichkeit werden. Wir können diese Einheit nur gewinnen, wenn jeder von uns diesen Geist in der tiefsten Tiefe empfängt. Wer den Geist nicht hat, kann nicht in Gemeinschaft des Geistes leben. Wir können nicht eher zu einer Gemeinschaft der Arbeit, zu einer wirklichen Erdgesellschaft gegenseitiger Beziehung kommen, ehe wir nicht Einheit im Geist geworden sind. Die Bewußtseinseinheit des menschlichen

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Körpers ist ein Gleichnis der kommenden grossen Einheit des Weltalls mit Gott. Auch diese wieder ist nur ein Gleichnis, eine Bildung, die den Bildner, eine Schöpfung, die den Schöpfer verkündet. So ist der Mensch zum Ebenbild Gottes berufen. Die Bewußtseinseinheit des einzelnen Menschen soll ein neues Gleichnis hervorbringen, wird ein neues Ebenbild Gottes geschenkt bekommen: Die Bewußtseinseinheit der Gemeinde. Die Einheit des kommenden Reichs, Gemeinschaft in Geist und Wahrheit, Einstimmigkeit in allen Dingen, von der Tiefe des Geisteserlebnisses aus in alle Materie hinein. Nur wenn die Weißgluthitze ihres innersten Kernes ungeschwächt ist, kann die Sonne ihr Leben ausstrahlen, von dem wir alle zehren. Nur wenn wir in der innersten Glut unserer Seele wiedergeboren, mit dem Geist getauft, und in den Geist hineingetaucht werden, als in Feuer und Sturm, können wir einander erwärmen und Licht geben, in der bewegten Gegenseitigkeit des Lebens und der Liebe. Die Menschen brauchen einheitliche menschliche Seele, einen einheitlichen menschlichen Geist. Nur der Geist ist die Hoffnung der Zukunft. Ein Leib mit einem Geist! Nur so kann es erwachsen, daß wir eine Wirtschaftseinheit und eine Gesellschaftseinheit uend eine Arbeitsgemeinschaft werden können. Die Quintessenz des Lebens, jenes innerste Geheimnis des Umkreisens und der Spannung in den verborgendsten Seelenkräften, das muß es sein, wie wir zu neuem Menschentum erneurt ein neues Leben beginnen. Dann werden wir auch in Gerechtigkeit und Friede und Freude zum Ganzen zusammenkommen. Freilich, was wir hier Geist nennen und als Geist bezeugen, ist den meisten Menschen verborgen und unbekannt. Es handelt sich hier um keine intellektuelle Gaben des Gehirns. Es handelt sich hier um keine schwarmgeistige Phantastik. Es handelt sich um jenes Allerinnerlichste und Allertiefste, das jeder Mensch in seinem persönlichen Leben in den tiefsten und geheimsten Stunden seines Werdens erfahren kann. Es handelt sich um den Geist als Geschenk, als Wagnis, als Freiwilligkeit, als Lust zum Schaffen, als Verbindung, als Bund, als Band, als Freiheit zugleich, als

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Heiterkeit, als Macht, als Enthusiasmus, und Tapferkeit, als Wille und Tat, um den Geist als gemeinsamer Geist, um den Geist als Band, als Bund, als Einheit, um den Geist als Bewußtseinseinheit aller in einem, um den Geist als innere Freiheit innerster, tiefster Berufung als innerste Einheit mit allem, die dieselbe Berufung und dasselbe Erlebnis kennen, es handelt sich um den Glauben. Gewiß, unsere Zivilisation muß untergehen, denn sie war dem Ungeist verfallen. In ihr war nicht mehr Gemeinschaft im Geist und deshalb auch nicht mehr Gemeinschaft in der Arbeit. Aber aus diesem Tode muß das neue Leben erstehen, das Leben in dem Geist der Gemeinschaft sozialer Gesinnung und verbindender Arbeit. Nur eins muß uns klar sein: Dieser Geist, der derselbe Lebensgeist ist, der die Gestirne bewegt und der unsere Lebenszellen aufbaut, dieser schoepferische Geist von Urbeginn her kann diese Neubildung der Geistes-Gemeinde und des kommenden Reiches nicht anders Bewirken als nach denselben Gesetzen des Lebens, nach denen er von Urbeginn her geschaffen hat. Es muß also die Wirkung dieses Geistes zu der Vereinigung aller Menschen in einer wirklichen Gemeinde und einem wirklichen Reich ebenso vor sich gehen, wie die Einheitswirkung im astronomischen Weltall geschieht und wie die Einheitswirkung in der Verborgenheit der Urzellen mit ihren Atomen und Elektronen vor sich geht. Bewegung und Freiheit, Spannung und Gegenseitigkeit also ist das Kennzeichen dieser neuen Einheit im Geist und auf der zukünftigen Erde. Der Aufbau stiller und verborgener kleinster Lebensbeziehungen in gegenseitiger Umkreisung, der Aufbau von kleinsten Zellen aus, in immer erneuter gegenseitiger Beziehung dieser Zellen zueinander, der Aufbau zu Organen und zu Gliedern und dann wieder in der Gemeinschaft der Glieder zu einem einzigen Leibe, das muß das Kennzeichen der werdenden Gemeinde und des kommenden Reiches sein. Diese Gemeinde also kann nicht durch Machtsprüche, nicht durch Gesetze, nicht durch Verordnungen herbei geführt werden. Dieses kommende Reich kann nicht durch menschliche Anstrengungen herbeigeführt oder gar herbeigegiert werden.

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Es kann nicht durch irgend eine Diktatur irgendeiner monarchistischen oder irgend einer proletarischen Regierung geschaffen oder zubereitet werden. Dieses Reich dieser Gemeinde kann niemals durch zentralisierte menschliche Gewalt gemacht werden. Dieses Reich ist fern von der Einwirkungsmöglichkeit unseres Eigenwillens, - fern von allen Versuchen eigensüchtiger und machtlüsterner Menschen oder Menschheitsgruppen. Dieses Reich ist das Reich, was nur aus dem Liebesgeist des Schöpfers als letzten Einheit aller geschenkt werden kann. Es ist das Reich, das nur von Gott kommen kann. Aber gerade deshalb müssen wir uns gegen das Mißverständnis wehren, als wenn Gott eine jenseitige Macht wäre, fern von der Materie und fern vom Stoff dieser Erde. Wir müssen uns darüber klar sein, daß die kommende Lebensgemeinschaft nach den Zeugnissen aller Propheten, die den Geist Gottes geschmeckt hatten, ein Zukunftsreich der Arbeit auf dieser Erde sein wird. Bündnisse der Arbeit werden jene Zellengemeinschaften der Menschen sein. Es gibt keine Arbeit, die wirklich mit der Seele getan werden kann, die wirklich geisterfüllt und herzdurchblutet sein kann, wenn sie nicht aus der Liebe gekommen ist. Und es gibt keine Liebe, die nicht zur Arbeit kommt. Liebe ist Arbeit: Arbeit, praktische angestrengte Arbeit der Muskeln und des Geistes, des Herzens und der Seele. Jenes Liebesreich also, jenes Gemeinschaftsreich der Gemeinde und der kommenden Herrschaft Gottes, es muß ein Reich der Arbeit sein. Wahrhafte, von gierlosem arbeitsbrüderlichen Geist erfüllte und belebte Arbeit wird das Kennzeichen der Zukunft, wird das Wesen der zukünftigen Menschheit sein. Arbeit als Geist. Arbeit als lebendige Wirklichkeit, wie wir sie alle verloren haben, Arbeit als Hingabe begeisterter Liebe an die Gemeinsamkeit, das ist der Grundcharakter der Zukunft. Die Freude an der Gemeinsamkeit wird als Freude an der Arbeit offenbar. Und es gibt keine andere Freude an der Arbeit, als die Freude an

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der Gemeinsamkeit, die Kraftprobe in der Beseitigung der Hemmnisse und Schwierigkeiten des Stoffes die Lust an der Betätigung, die Hingabe an die Arbeit. Die Anwesenheit der Seele in der Arbeit ist nur dort möglich, wo der Geist die Arbeit in Beziehung zu den geliebten Menschen, zu der geliebten Menschheit letztlich zu Gott selbst gesetzt ist. Wo alle Sinne geheiligt werden und alle Werkzeuge geweiht sind. Wo alles Leibliche heilig wird und alles praktische Sichbetätigen Freude sein wird. Wo Schwang, wo Überschwung, wo Überschwang der Begeisterung in der Arbeit ist, dort ist das Reich der Zukunft. Da wir heute nur eine schwache Ahnung einer solchen Möglichkeit eines solchen gemeinsamen Lebens haben, so werden wir immer wieder von jener pessimistischen Stimmung berührt werden, wie von einem dunklen Schatten des Abgrundes. Wie unendlich weit ist die heutige Menschheit von dieser Arbeitsmöglichkeit entfernt! Leo Tolstoi hat uns in seinen einfachen Geschichten vom russischen Landleben, in seinen Volkserzählungen wunderbare Bilder solcher Arbeit gezeigt. Wenn wir das Land lieb haben, wenn wir ein Verhältnis zur Scholle haben, wenn wir die Freude an der aufgehenden Sonne, an den langsam wachsenden schattigen Bäumen, an dem sich bewegenden Vieh, an den fliegenden Vögeln, an den duftenden Blumen haben und wenn wir den Menschen als das schönste Wesen inmitten dieser Natur lieben, und wenn wir dann auf diesem Lande, an diesem Acker und an diesem Garten unsere Arbeit einsetzen, für diese blühende, wehende und duftende Natur, für diese lebendigen, in Schönheit immer neu emporwachsenden Menschen- und Tierwesen, wenn wir für das Leben und für die Gemeinschaft des Lebens draußen in der Natur im Schweiße des Angesichts in Freude arbeiten gelernt haben, – und wenn wir in solcher Arbeit Gemeinschaft, wirkliche Gemeinschaft gegenseitigen Vertrauens gefunden haben, dann können wir, wie tatsächlich jedes echte Kind auf dem Lande eine glaubende Ahnung dieses zukünftigen Lebens gewinnen. Und wenn wir in aufrichtigem Geistesringen und Geistessuchen in den uralten Zeugnissen ewiger Wahrheit lesen, wenn wir uns in die Propheten vertiefen und in die Gesandten jenes großen Reiches

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der Zukunft, wie es von weiten Jahrtausenden her immer wieder bezeugt wird, wenn wir unseren Geist in diesen Geist der Wahrheit von Urbeginn der Menschheitsgeschichte an versenken, auch auf diesem Wege werden wir eine Ahnung, eine glaubende Hoffnung dieser großen Zukunft gewinnen. Land und Geist. Geist und Land müssen in Gemeinschaft kommen, daß die Zukunft erstehe! Der schöpferische Geist sucht die Materie auf. Der Geist der Arbeit muß das Land bewegen. Die Kultur des Geistes muß auf das Land kommen. Und das Landleben muß die ermüdende, absterbende Stadtkultur zur Wiedergeburt erneuerter Verjüngung bringen. Der Gemeinbesitz der Erde und des Geistes, daß Land und Arbeit Gemeinsamkeit aller Menschen werde, daß das Land gemeinsamer Besitz, die Arbeit gemeinsame Aufgabe aller Menschen wird, daß wir mitten in der Landarbeit angestrengter körperlicher Tätigkeit alle geistigen Bewegungen in uns aufnehmen, in die fernsten Fernen tragen und allen vermitteln, das muß die Arbeit der Zukunft sein. Und alle die anderen Arbeitsbetätigungen mit Werkzeug und an der Maschine, alle diese Schöpfungen von wirklichen Werten, die aus dem Rohstoff sich gestalten, zu solchen Gebilden formen, die den Geist der zukünftigen Menschheitsgemeinschaft entsprechen, alles das muß sich verbinden mit dieser Kulturarbeit des Landes und mit dieser Kulturarbeit des Geistes. Nichts soll verloren gehen, was die maschinellen und technischen Errungenschaften der letzten Jahrhunderte und Jahrtausende uns gebracht haben. Denn der Mensch ist dazu gesetzt worden, diese Erde zu beherrschen, und mit seinem Handwerkszeug die Erde zu bewegen und die Materie dieser Arbeit zu formen und zu gestalten. Aber was dem Handwerkszeug, der heutigen Fabrik, den heutigen Maschinen und der Industrie als Fluch und Makel anhaften, die Entwürdigung und Entseelung des arbeitenden Menschen, daß er seelenlose Arbeit tun muß, in der sein Herz nicht mitbeteiligt sein kann, in der sein Geist nicht mitschwingen kann, in der die Gemeinschaft der Herzen nicht gewonnen werden kann, das wird überwunden und abgetan sein, wenn das neue Reich kommt. Wie

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die Freiwilligkeit und Schaffensfreudigkeit in dem Gemeingeist dieser Liebe schöpferischer Arbeit praktisch zur Wirklichkeit kommen wird, das können wir heute im Einzelnen nicht sagen. Wie weit die Zerstörung der Teufels-Werke die Maschinen-Industrie treffen muß, wissen wir nicht. Die Arbeits-Entwicklung ist heute an einen toten Punkt der Arbeitsteilung und Menschen-Opferung angelangt, der vielleicht durch neue Erfindungen und Entdeckungen überwunden werden kann. Die Liebe muß im technischen Sinne erfinderisch werden, daß wieder Seele und Überblick und Einheit in jede Arbeit gelegt werden kann. Wie eine beschränkte mit Feindeshaß und Erwerbstrieb verbundene Vaterlandsliebe die kriegstechnischen Erfindungen ins gigantisch-titanenhafte gesteigert hat, so wird geisterfüllte und allumfassende Liebe alle unmenschliche Arbeitsqual und Sklaven-Opferung aus der Industrie beseitigen können. Anstrengung und Kraft-Anspannung ist gut, auch wenn sie den Schweiß aus den Poren treibt. Aber Schwefel-Atmung, Staub-Schlucken, Blei-Vergiftung und Geistes-Abstumpfung ist höllischer Sklaven-Mord, den wir abschaffen müssen, wenn wir Menschen werden wollen.

Die Forderung der Gerechtigkeit und der Liebe wird es aber auch in gesunder Arbeit zu einer solchen Gemeinschaft bringen, daß alle Menschen bereit werden, an den täglich notwendigen einfachen Handreichungen tätiger praktischer Arbeit anzupacken, sei es an der Maschine, am Spaten, mit dem Beil, mit der Hacke oder an sonst etwas. Jeder Mensch sollte bereit jeden Tag eine kleine Zahl von Stunden praktisch zu arbeiten, ob im Garten, im Umgraben und Jauchegiessen oder ob auf dem Acker im Pflugführen oder Kartoffelhacken, oder ob an der Nähmaschine, an der Kreissäge, an der Druckpresse, oder ob im Bergwerk, im Chausseebau, beim Ziegelbrennen, in einer Fabrikschlosserei, einer Fabriktischlerei oder wo es sonst sei, jeder Mensch könnte bereit sein, jeden Tag, der ihm körperliche Gesundheit schenkt, einige Stunden dieser praktischen Arbeit zu widmen. Gerade die einseitig Geistigen würden die vermenschlichende Wirkung solchen Tuns verspüren. Und so wird es möglich sein, daß die besondere Begabung, die einem jeden Menschen geschenkt ist, das besondere kleine Licht,das in jedem glimmt, zum Entfachen zu bringen. Ob dieses Feuer nun in Gaben gelehrter Forschung oder musikalischer Tonkunst werden, ob es in Kräften der Wortgestaltung oder der bildenden Kunst am Holz, am Stein oder in Farben seine verborgene Glut ahnen läßt, oder ob es als das Einfachste und Beste als Liebe zur Natur in Land- und Gartenarbeit seine Kraft beweist, die Arbeit in den Freistunden wird den Charakter der Lebensfreude eines jeden Menschen offenbaren. Hier zeigt es sich, wie weit die gegenseitiger verschiedenster Begabung

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Hilfe, die Freiwilligkeit für das Ganze, die Liebe das Leben bestimmt. Nur der Tod kennt die Beschäftigungslosigkeit und die Langeweile. Wo Leben ist, bleibt der gestaltende Geisteswille wach und wirkt kraft der gegenseitigen Hilfe als Dienst am Ganzen aus. Das ist nicht etwa ein Phantasiebild einer unerreichbaren Zukunft, sondern es ist vielmehr heute schon die stille Wirklichkeit einer werdenden Gemeinde, die in jeder Freistunde in den Großstädten wie auf dem Lande Realität wird. Gott ist überall und immer. Wir können das Reich Gottes nicht machen - niemals - aber wir können im Reich Gottes leben, immer. Christus kommt jetzt und hier zu uns. Der Augenblick ist nahe, in dem Gott entscheidend eingreifen wird und durch die Katastrophen seines Gerichts und durch das Ausbrechen seiner Lichtherrschaft jene Freuden-Epoche der Erde beginnen wird, die uns heute so fremd ist. Der Augenblick ist nahe, an dem der Morgenstern aus der dunklen Nacht emportauchen und die Sonne heraufführen wird, als den Beginn eines neuen Tages der Schöpfung. Vergleichen könnte man diesen Augenblick vor der Entscheidung etwa mit der Erden-Wende vor der Eiszeit, als der Mensch auf der Erde aufkam, als die alten Saurier, die Riesendrachen der Tiefe und des finsteren Fluges in Untergang und Verwesung gerieten. Die Zeit der Drachen wird von neuem vorbei sein. Der Mensch wird als der Mensch der Zukunft erscheinen. Der Nachkomme des Menschen, der Sohn des Menschen, der wirkliche Mensch, der wahre Mensch der Zukunft wird die Leitung aller Dinge in die Hand nehmen. Der heutige Mensch ist ein Seil, gespannt zwischen Tier und Übermensch, zwischen der untergehenden Menschheit und dem Menschensohn der Zukunft. Lasset uns hinausschreiten auf dieses Seil, in das andere Land, das wir für diese Erde ersehnen! Wenn wir glauben, daß dieses Reich naht, wenn wir gewiß sind, daß diese Umgestaltung aller Dinge das letzte Wort der Erdgeschichte sein wird, so wollen wir jetzt so leben, wie es dem Geist dieser Zukunft entspricht. Das eben ist das Geheimnis der unter uns keimenden und blühenden, der in der Verborgenheit werdenden Gemeinde, daß wir jetzt schon, hier und überall in der Gemeinschaft dieses Geistes leben und arbeiten können. Glauben an Gott, und Glauben an Christus ist die Kraft dieser Möglichkeit. Wer auch nur in einem einzigen Punkte Glauben hat, kennt keine Unmöglichkeit.

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Das Unmöglichste wird Wirklichkeit. Wo Fremdheit und Feindseligkeit herrschte, werden die Menschen zu einander die gegenseitige Beziehung finden. Nur eins ist notwendig: der Glaube, der Liebe ist, die Schau, daß wir Herz entdecken, wo wir nur Totes sahen. Daß wir einer in dem andern den Funken finden, daß wir einer in dem andern die Berufung spüren, daß wir einer in dem andern die Sehnsucht kennen, daß wir einer in dem andern den Bruder finden, daß wir miteinander glauben können. Dann wird es nicht mehr so schwer sein, den Weg praktischer Hilfe, sofortigen Dienstes, wirklicher Arbeitsgemeinschaft zu funden. Nur so werden sich Arbeitsgemeinden bilden können, die in praktischen Arbeitsdingen täglicher Verrichtung und in der Geistesbelebung täglicher Vertiefung wie ein Mann für einander einstehen: ein Herz und eine Seele, eine Arbeit und ein Werk! Freilich, diese Gemeinde gemeinsamen und gegenseitigen Glaubens ist das zarteste Gebilde, was an lebendem Wesen jemals über die Erde geganden ist. Wie ein menschliches Kind ganz anders behütet werden muß, als jedes andere Junge, das vielleicht schon in der Stunde der Geburt auf dem Hof herumspringen kann. Wie das kleine Menschenkind langsam und sorgsam von der Mutter getragen und genährt, aufgezogen werden muß, wenn es an dem zarten reichen Organismus seiner immer beseelter werdenden Leiblichkeit nicht Schaden nehmen soll, so ist die Gemeinde der Glaubenseinheit als das edelste und zarteste Gebilde aller Gemeinschaftsmöglichkeiten auf der Erde. Alles um sie her und – was das Bedrückendste ist - auch jedes ihrer Glieder in ihr selbst – ist ihrem Wesen fremd und entgegengesetzt. Sie ist nicht nur edler und besser als alles, was sich unter den Menschen vereinigen will. Sondern ihre Vereinigung ist eine so ganz andersartige als alle Gemeinschafts-Versuche aller Art, daß die Gemeinde als solche von allen Seiten, von innen und außen - von ihren Feinden und am schlimmsten von ihren Freunden beständig der Auflösung, der Verwandlung in ihr Gegenteil nahe gebracht wird.

Solange diese Gemeinde da ist, solange steht [sie] unter dem Zeichen des Todes. Immer müßte man meinen, daß ihr Untergang besiegelt ist. So ist es von Beginn an gewesen, seitdem die Gemeinde, von Christus her unter die Menschen gekommen, in Jerusalem in Erscheinung trat. Alle Macht, die in den Worten Jesu gelebt hatte, wurde in der unerhört neuen Wirklichkeit dieses Gemeindelebens offenbar. Diese ersten Christen lebten in der Macht des heiligen Geistes, den Jesu ihnen gegeben hatte und dieser Geist erwies sich als Überschwang an Leben, an Liebe und Hingabe. Alle Menschen, die unter den Einfluß dieses Geistes kamen, spürten den Geist zu ihren Herzen reden, als wenn die Sprache der Mutter neu offenbar würde. Die Macht dieses Geistes war eine so ungeheure, daß alle die bösen Mächte

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der Feindseligkeit, der Krankheit und des Todes überwunden wurden. Der Machtgeist heiliger, rettender, helfender Liebes-Energie erwies sich bis ins Körperliche hinein, als der stärkere. Diese Geisteskraft der ersten Gemeinde wurde in ihr selbst als einfache Einheit echter Bruderschaft offenbar. Keiner konnte von irgendwelchen Besitztümern sagen, daß sie ihm gehörten; sondern sie besaßen alles gemeinsam. Wenn einer einen Acker oder ein Gut hatte, so verkaufte er alles und legte es zu den Füssen der Apostel. So konnte kein Bedürftiger, kein Armer unter ihnen sein. In Freiwilligkeit wirkte sich ohne Zwang oder Vorschrift die Fülle der Dienste und Gaben aus. Und doch war der Todeswurm von Beginn an am Werk. Unfreiheit, Unaufrichtigkeit, Eigennutz und selbstischer Sorgengeist waren niemals ganz verschwunden. Schliesslich ist auch diese Gemeinde ist gestorben. Jerusalem ist zerstört worden, seine ebenso arme wie gastfreie Gemeinde wurde in alle Winde zerstreut. Jene Gemeinde, die Paulus gegründet hat, hatte der veränderten Aufgabe entsprechend eine wesentliche andere Struktur, eine ganz andere Art des Aufbaues, als jene eine Urgemeinde des einmalig aufleuchtenden Beispiels des kommenden Morgens. Aber wieder und wieder ist im Laufe der Jahrhunderte dieses Gemeindeleben in derselben Urkraft offenbar geworden. Immer mußte das Scheitern, das Zugrundegehen fremder Mißdeutung und Verfolgung wie eigene Schwäche und Schuld, Kreuz und Tod an diesem Gemeindeleben offenbar werden. Aber immer wieder leuchtet in ihnen der Glaube als die einzige Kraft zur Liebe, der Glaubensgeist als der einzige wirklich lebendig werdende Hinweis auf als der Hinweis auf die Gemeinde und auf das Reich!

Immer von neuem müssen wir an den Geist der Zukunft glauben, an die Macht des Feuers, an die Bewegung der Sonnen, an den Aufbau bewegter, springender Brunnen, an den ewigen Bau bewegter kosmischer Welten, an das Zellen-Aufbau lebendiger Atome, an den zarten und doch festest an Bau wehender Winde heiligen Geistes. Lasst uns Glauben haben, dass das, was der ungeheure Geist tut, ist stärker als alles, was alle Gewalten entseelten Materie vermögen. Lasst uns glauben haben, daβ dieser Geist in alle ihm noch so fremd gewordenen Materie eindringen muβ, dass er diese Erde erobern und diesen Stoff neugestalten wird:

(Gott bewegt Vers 3:) Mensch baut Stein.

(Vers 8 und 9) Gott bewegt. Nie ist er wie Stehl. Gott ist Geist – alles neu.