Eberhard Arnold

Versammlungsprotokoll, 17. Juli 1933

[Arnold, Eberhard and Emmy papers - T.S.H.]

EA 33/23

Wahrheit als Liebe – Liebe als Wahrheit

Gemeindestunde auf dem Rhönbruderhof 17. Juli 1933

Eberhard Arnold

[Am 15. Juli war Familie Kunzelmann – Vater, Mutter und 4 Kinder – fortgegangen; sie waren 4 Jahre bei uns gewesen, auch Novizen und „Erweiterte Bruderschaft“ gewesen – aber nie völlig in der letzten Klarheit mit uns vereinigt – Es war trotzdem ein schwerer Schlag, aber auch eine große Befreiung, dass die Unentschiedenheit und Unklarheit aus unserer Mitte entfernt war in jener gefahrvollen Zeit. Gustav K. war sehr bald NS-Mann, S.A.]

Wir haben uns die letzten Tage daraufhin gereinigt und geeinigt, dass wir nicht an uns selbst denken und nicht in unserem eigenen Wesen stecken bleiben, sondern dass wir zu der vollkommenen Hingabe gelangen, uns selbst völlig zu vergessen und nur noch eines im Auge zu haben, das Reich Gottes. Und wir haben es gesehen an den Kämpfen, die uns umgeben, und an den Nöten, die von draußen her an unsere Fenster anklopfen, dass das keine Redensart oder frommen Betrachtung ist. Es gilt vielmehr, jetzt bereit zu sein für das Schwerste und das Letzte.

Wenn wir abends auseinander gehen, so befehlen wir uns und unsere Kinder dem Schutz und Schirm Gottes, und wir haben alle Ursache das zu tun. Denn heute haben wir noch Haus und Hof und Herberge; wir wissen aber nicht, ob wir noch heute abend vertrieben werden, oder morgen früh. Und es ist ein Wunder des Schutzes und Schirmes Gottes, dass wir noch heute beisammen sind. Und deshalb gilt es, dass wir uns rüsten und sammeln, dass wir uns bereit halten auf das Letzte, Entscheidende.

Wir haben uns entschlossen in unserer Bruderschaft, nicht einen Schritt zu weit zu gehen, nicht einen Schritt über die klare Linie hinaus zu gehen, die uns Jesus Christus vorgeschrieben hat. Er hat den Weg gezeichnet, und wir gehen den Weg, wie er ihn gezeichnet hat. Wir wollen nichts über-

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treiben, was nur menschliche Art wäre. Denn jede Übersteigerung der göttlichen Wahrheit ist in Wirklichkeit eine Abschwächung; denn sie hebt nur eine menschliche Seite an der Wahrheit hervor und übertreibt diese. Davor müssen wir behütet werden. Wir wollen vielmehr die universale, untödliche Wahrheit Gottes auch der heutigen Regierung des Deutschen Reiches vorhalten.

Wir wollen nicht in einem menschlichen Heroismus uns eigenwillig ins Gefängnis bringen. Wir wollen aber bereit sein, in das Gefängnis gesetzt zu werden oder aufgelöst und des Landes verwiesen zu werden, wenn es sein soll. Und in diesem Sinne ist es heute eine überaus reale Forderung, dass wir unsere Gemeinde gefragt haben: Sind wir bereit?

Denn die Welten stoßen zusammen. Und wenn der heutige Staat schon im Kampf liegt mit der Katholischen Kirche, mir der Evangelischen Kirche, so ist es sicher, dass er noch viel mehr im Kampf liegt mit dem Evangelium Jesu Christi und mit der oberen Stadt-Gemeinde des heiligen Geistes.

Wie aber haben wir diesen Kampf zu führen? Wir haben ihn einzig und allein im Geist des kommenden Reiches zu führen. Wir haben diesen Kampf zu führen in der Liebe. Wir haben keine andere Waffe als die Waffe der Liebe. Und ob wir mit einem Landjäger zu tun haben oder mit einem Arbeitsdienstler, ob wir mit einem Landrat zu tun haben oder mit einem Hessen-Prinzen oder einem Parteiführer, oder einem Reichspräsidenten, das macht keinen Unterschied. Wir haben sie zu lieben und nur wenn wir sie recht lieben werden,

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werden wir das Zeugnis der Wahrheit ihnen nahe bringen können. Dazu sind wir da.

Die Wahrheit in der Liebe und die Liebe in der Wahrheit, das ist die Sendung in dieser furchtbar erschreckenden Zeit. Keine weichliche Liebe dürfen wir haben, welche die Wahrheit umbiegt und abbiegt. Sondern unsere Liebe muss in der Wahrheit leben. Sie ist untrennbar mit der völligen Wahrheit verbunden. Und diese völlige Wahrheit ist in Christus geoffenbart und sie ist vorbehalten in dem kommenden Reich Gottes, und sie ist der Gemeinde anvertraut, dass die Gemeinde ohne Veränderung dessen, was kommen wird, jetzt schon lebt und tut, sagt und verkündigt, was das kommende Reich Gottes ist.

Nur so dürfen wir lieben, dass wir den Menschen die Wahrheit Gottes bringen. Eine andere Liebe dürfen wir nicht kennen. Nicht die Liebe des weichlichen Mitleids, des diplomatischen Kompromisses; nicht die Liebe der gegenseitigen Zugeständnisse, die um der Seele des anderen willen die Objektivität der Wahrheit verliert. Zu dieser Liebe dürfen wir uns nicht bekennen. Sondern zu der Liebe allein, die die völlige Tiefe der Wahrheit und die ganze, umfassende Weite der Wahrheit ans Herz des geliebten Menschen hereinbringt.

Also Wahrheit, aber Wahrheit nur in der Liebe. Denn das ist keine Wahrheit, wenn man eine blanke, blitzende Theorie mit Herzenskälte vorbringt. Auch das ist keine Wahrheit, wenn man eine felsenharte Orthodoxie mit stumpfem Gemüt auf die Menschen einschlagen lässt. Das ist nicht Wahrheit. Und wenn wir buchstabisch das Richtige sagen würden, wenn wir die korrekte Wahrheit aussprechen würden, nach jeder Seite hin

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genau und exakt das wirklich Richtige aussprechen würden, so wäre das vom Teufel, wenn es ohne Liebe geschähe. Der Satan ist orthodox und er benennt die richtige Wahrheit. Das sehen wir schon an den Dämonen die Jesus begegneten. Sie bekannten seine Eigenart und Wesenhaftigkeit. Sie waren durchaus positive Christen, aber ohne Christus, ohne die Liebe.

Deshalb haben unsere geliebten hutterischen Vorfahren und Vorgänger immer wieder gelehrt: Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig. Wenn wir jeden Tag Bibelstunde halten und es ist Buchstabe ohne heiligen Geist, so mag es alles richtig sein, was wir gesagt haben, alles, und doch ist es vom Tode und führt zum Tode, wenn es ohne den Geist, ohne die Inspiration der völligen Liebe, ohnge die Kraft der Glut des Herzens Gottes gesagt wurde.

Wehe uns, wenn wir richtig werden, ohne die Liebe zu haben. Wehe uns, wenn wir Richtiges sagen, ohne die Liebe zu haben. Dann lasst uns lieber schweigen. Das ist besser. Man darf einem Menschen erst dann die Wahrheit sagen, wenn der heilige Geist dem Sprechenden die Gewissheit gibt: Du liebst ihn von ganzem Herzen, deshalb darfst du es sagen. Wehe dem, der seinem Bruder oder seiner Schwester die Wahrheit sagen wollte, ohne ihn von Herzen zu lieben. Er ist ein Totschläger. Denn Wahrheit ohne Liebe tötet, wie die Liebe ohne die Wahrheit lügt.

Also, das muss uns gegeben werden, dass wir die völlige Tiefe und die ganze Weite der Wahrheit in Christus und im

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Reiche Gottes erfassen in der Liebe. Und das ist nicht etwa so, als wenn Wahrheit und Liebe zwei Stücke wären, die wir nun in Übereinstimmung bringen müssten. Nein. Nein. Es ist vielmehr einzig und allein, so, das Herz Gottes ist die Wahrheit. Das Herz Gottes ist die Liebe. Der Inhalt der letzten Wahrheit ist nichts anderes als die völlige Liebe. Denn die Wahrheit Gottes ist Wesenhaftigkeit seines Herzens, und das Wesen seines Herzens ist die Liebe.

Also ist unsere Sendung in der heutigen Welt, die Wahrheit als Liebe und die Liebe als Wahrheit zu künden, an Hohe und Niedrige heranzutreten, es zu sagen weil wir es leben, und es zu leben indem wir es sagen. Und so werden wir alle miteinander begreifen müssen, dass dieser Weg der Todesweg ist. Denn es war einer, der hat geliebt bis zuletzt, und der hat allen die Wahrheit gesagt in der völligen Liebe. Der hat alle geliebt, ohne ihrem verkehrten Wesen nachzugehen. Und was war die Folge dieser seiner Haltung? Das Kreuz seiner Hinrichtung!

Und so muss es auch bei uns sein. Es kann nicht anders sein, als dass wir gefangen gesetzt und getötet werden, wenn wir den Weg Jesu wirklich gehen. Wenn es noch nicht geschehen ist, so ist das ein Beweis dafür, dass wir den Weg Jesu noch nicht bis zu Ende gegangen sind. Und nicht um einer anderen Sache willen dürfen wir gefangen gesetzt oder getötet werden, sondern … (Hier ist eine halbe Seite aus dem Stenoblock herausgerissen)

.. dass die Liebe Gottes ausgegossen wird in unsere Herzen durch den heiligen Geist. Anders kann sie uns nicht

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gegeben werden als durch diesen Geist, in welchem Christus, das Herz selbst, zu uns kommt. Wir müssen bitten um den heiligen Geist, damit wir diesen Weg gehen können, den Auftrag auführen können, nachfolgen bis ans Kreuz.

Wenn wir also so vor Gott treten, bitten wir ihn um die völlige Liebe und bitten, dass diese völlige Liebe als die Liebe des allmächtigen und allgewaltigen Gottes alle Menschen erreiche. Wir bitten um den Kampf dieser Liebe, wir bitten um die Macht dieser Liebe, wir bitten um die Vollmacht dieser Liebe. Denn diese Liebe ist durchaus grenzenlos. Die Aufgabe dieser Liebe ist allumfassend. Sonst wäre sie nicht die Liebe Gottes. Die Vollmacht dieser Liebe kennt kein Ende und keinen Abschluss. Sie ist unendlich. Sonst wäre sie nicht Gottes Liebe.

Also wenn wir um die Liebe bitten, die durch den heiligen Geist ausgegossen werden soll in unsere Herzen, so bitten wir um eine Vollmacht, die allen Menschen gegenüber gebraucht werden muss. Wir bitten um die apostolische Vollmacht der Gesandtschaft, der Sendung. Wir bitten um die Vollmacht alle Menschen anzureden, alle Menschen zu rufen, wir bitten um die Vollmacht, die Dämonen auszutreiben, Krankheiten zu brechen. Wir bitten um die Vollmacht, den Teufel, das Werk des Teufels, zu zerstören.

Denn dazu ist Jesus gekommen, um die Werke des Teufels zu zerstören. Und diesen Auftrag vertraut er seiner Gemeinde an, dem Apostolat (seiner Gemeinde), die Festungen des Teufels, die Zentralpositionen des Teufels dort anzugreifen, wo sie

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konzentriert sind. Das ist die Vollmacht der Gemeinde, die apostolische Vollmacht, und deshalb prophetische Vollmacht.

In diesem prophetischen Geist kündigt er die letzte Zukunft und ist feind dem Zeitgeist. Es ist gefährlich, dem Zeitgeist den Krieg anzusagen. Das aber ist die Aufgabe des Propheten, dem Zeitgeist den Krieg anzusagen. Nur so können wir die Menschen, die unter dem Zeitgeist gequält (und) zugrunde gerichtet werden, wirklich lieben, wenn wir den Zeitgeist bekriegen, der sie dämonisch geknechtet hält. Das ist die Aufgabe der Gemeinde, unzeitgemäß zu sein, prophetisch zu sein, unzeitgemäß in der Zukunft zu leben und für diese Zukunft zu sterben.

Und deshalb eben, geliebte Geschwistrigit, sind wir hier des abends zusammen gekommen, um Gott um seinen Beistand und um die Kraft seines heiligen Geistes zu bitten, dass die Liebe Gottes ausgegossen werde in unsere Herzen durch den heiligen Geist, dass der große Anwalt für uns kämpfe und uns alles das eingebe, was aus der Liebe und aus der Wahrheit ist, dass wir den Kampf aufnehmen in der Stunde, die die Stunde des Geistes ist.

Wenn wir also beten, so rufen wir die Stunde Gottes herbei. Wenn wir Gott rufen, so bitten wir um sein Eingreifen. Wenn wir Christus rufen, so bitten wir um seine Sendungsvollmacht, um den Weg seines Kreuzes, um den Tod am Kreuz. Wenn wir seinen heiligen Geist erbitten, erflehen wir die völlige

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Liebe der völligen Wahrheit für den Endkampf, der dem Reich Gottes vorausgeht. Das ist der Sinn unserer Anrufung, dass dies geschehe, dass es bald geschehe, dass es jetzt geschehe.